16. November 2017

SOS, Wir werden verdrängt!

Eckart Eyser ist Vorstand des Technologie-Parks Humboldthain. Der Unternehmer sitzt dort selbst seit vielen Jahren mit seiner Firma. Die Gegend um das ehemalige AEG-Gelände, sagt Eyser, war lange Zeit im Dornröschenschlaf versunken. Doch seit einiger Zeit beobachtet er mit wachsender Besorgnis, dass selbst langjährige Nutzer das Gelände verlassen und an den Stadtrand ziehen, weil die Gewerbemieten steigen und manchmal auch, weil sie nicht mehr ins „Profil“ der Gewerbesiedlungs-Gesellschaft (GSG) passen. Stattdessen werden zunehmend Räume für Start-ups und Coworker geschaffen. Das liegt im Trend und ist für die Vermieter hochprofitabel, denn viele kleine Räume lassen sich besser vermieten als wenige große. Im Interview haben wir über das Für und Wider dieser Entwicklung gesprochen und die Frage gestellt, wie die Stadt(-politik) damit umgehen kann.

Viktor Hildebrandt: Herr Eyser, in Berlin steigt die Nachfrage nach Büro- und Gewerbeflächen. Spüren Sie diesen Anstieg auch hier im Technologie-Park Humboldthain (TPH)?

Eckart Eyser: Allerdings! Der Standort erwacht sozusagen gerade aus dem Dornröschenschlaf. Wegen der zentralen Lage sind die Gewerbeflächen im TPH derzeit sehr begehrt. Die Gewerbesiedlungs-Gesellschaft (GSG), der hier ein Großteil der Flächen gehört, führt schon Wartelisten mit potenziellen künftigen Mietern; und sogar neue Gebäude, die bisher nur auf dem Papier stehen, sind angeblich schon komplett vermietet.

Was sind die Konsequenzen der wachsenden Nachfrage?  

Das hat ganz verschiedene Auswirkungen. Zunächst einmal führt es dazu, dass die GSG heute verstärkt in die Sanierung und Renovierung der bestehenden Gebäude im TPH investiert. In der Vergangenheit war man da eher zögerlich. Doch nun, da die Flächen hier begehrt sind und das Immobilienunternehmen sich keine Sorgen um die Vermietung machen muss, sind die Entscheider scheinbar bereit, das nötige Geld in die Hand zu nehmen. Sie wollen mit diesen Maßnahmen sicherlich auch den Wert und die Attraktivität der Gebäude weiter steigern. Die Investitionen sind natürlich grundsätzlich sinnvoll und teils sogar bitter nötig. Insbesondere in den Gebäuden auf dem ehemaligen AEG-Gelände – dem Herzstück des Technologie-Parks direkt gegenüber dem Humboldthain – muss altersbedingt einiges erneuert werden. Gleichzeitig führen die große Nachfrage und die Modernisierungen der Gebäude aber natürlich auch zu höheren Mieten. Und die können sich einige der alteingesessenen Unternehmen nicht mehr leisten. Diese Unternehmen, die zum Teil schon seit 30 Jahren hier ihren Sitz haben, müssen umziehen. Hinzu kommt, dass weitere Unternehmen umsiedeln müssen, weil sie, so drückt es die GSG aus, nicht mehr „ins Konzept passen“. Im Grunde genommen können wir hier im TPH also derzeit einen Gentrifizierungsprozess beobachten. Nur dass die Gentrifizierung in diesem Fall nicht – zumindest noch nicht beziehungsweise nicht primär – die Anwohner und den Kiez betrifft, sondern die Unternehmen.

gezeichnete Kirche

Gentrifizierung bedeutet immer auch Verdrängung. Wer verdrängt denn alteingesessene Unternehmen?  

Die angebotenen Gewerbeflächen werden im Schnitt immer kleinteiliger. Das kommt produzierenden Unternehmen natürlich nicht gerade entgegen. Kleine Flächen sind viel eher für Start-ups geeignet, deren Mitarbeiter man meistens an einer Hand abzählen kann und die in der Regel nichts Physisches herstellen – zumindest nicht hier in Berlin – und deshalb keine großen Maschinen oder andere Gerätschaften benötigen.

Es gibt hier zum Beispiel seit einiger Zeit den Coworking-Space Ahoy. Und bald wird ein weiteres Start-up-Center namens Grow direkt gegenüber vom ehemaligen AEG-Gelände gebaut. Dieser Trend schwappt sozusagen aus Mitte nach Gesundbrunnen und in den Wedding hinüber. Es gibt in der näheren Umgebung des TPH neuerdings auch noch weitere solche Räume wie zum Beispiel die Factory in der Bernauer Straße oder das Unicorn in der Brunnenstraße.

Berlin ist ja als die Start-up-Metropole Europas bekannt und auch ziemlich stolz auf dieses Label. Sie scheinen wenig begeistert von den Start-ups.

Wie jede Medaille hat auch die Förderung von Start-ups auf Kosten alteingesessener Unternehmen zwei Seiten. Start-ups sind natürlich total hip, und viele der Gründerinnen und Gründer haben sicherlich gute Ideen. Das will ich alles nicht abstreiten. So wie sich die Wirtschaft gerade entwickelt, sind Räume für Start-ups durchaus zu begrüßen. Auch aus Sicht der GSG ist diese Entwicklung offensichtlich vorteilhaft, denn mit vielen kleinen Flächen kann man mehr Gewinn erzielen als mit wenigen großen. Doch man sollte die Augen nicht vor den Schattenseiten dieser Entwicklung verschließen und vor allem für eine gute Balance sorgen.

Aus Sicht des Bezirkes zum Beispiel stellt sich die Situation nämlich ganz anders dar: Die meisten Start-ups erwirtschaften in den ersten Jahren nur geringe Umsätze und gar keinen oder bestenfalls wenig Gewinn. Sie werden von Investoren finanziert und können sich deshalb verhältnismäßig hohe Mieten für recht kleine Räume in attraktiver Lage leisten. Aber sie zahlen zunächst kaum Steuern und schaffen nur ganz wenige sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Gleichzeitig brauchen diejenigen Start-ups, die tatsächlich erfolgreich arbeiten und den Sprung in die Profitabilität schaffen, irgendwann eigene, größere Büros, da sie plötzlich mehr Mitarbeiter einstellen und nicht mehr Wand an Wand mit anderen Unternehmen arbeiten möchten. Je mehr kleinteilige Büroräume sich aber in einem Bezirk versammeln, desto geringer ist natürlich die Wahrscheinlichkeit, dass die wachsenden Unternehmen dort bleiben. Und wer wegzieht, zahlt eben auch seine Steuern in anderen Teilen der Stadt oder in anderen Regionen.

„Wie jede Medaille hat auch die Förderung von Start-ups zwei Seiten.“

Außerdem sind Gründerinnen und Gründer ja notorische Selbstausbeuter. Die meisten von ihnen sind so sehr auf die eigene Geschäftsidee fokussiert, dass sie sozusagen mit Scheuklappen durch die Gegend laufen und weder nach rechts noch nach links schauen. Darunter leidet nicht nur das Privatleben, sondern es bedeutet auch, dass diese Leute sich meistens nicht am Standort und/oder in der Nachbarschaft engagieren. Gerade hier im TPH wäre das aber durchaus von Bedeutung, denn in den angrenzenden Kiezen gibt es sehr hohe Arbeitslosenquoten und viele arme Familien. Das soll nicht heißen, dass sich alle etablierten Unternehmen permanent sozial engagieren; aber die generelle Bereitschaft zu kleinen Initiativen wie zum Beispiel Schnupperpraktika für Schüler, die ist doch größer als bei den meisten Start-ups.

Auch aus Sicht der Unternehmen, die sich die Mieten hier nicht länger leisten können, ist die derzeitige Entwicklung natürlich problematisch. Die GSG ist zwar durchaus bemüht, diese Unternehmen bei der Suche nach einem neuen Standort zu unterstützen, doch damit ist es eben nicht getan. Die Mitarbeiter – sofern sie gut ausgebildet sind und Alternativen haben – überlegen es sich ja zweimal, ob sie nun täglich in die Randbezirke pendeln oder lieber den Arbeitgeber wechseln möchten. Einige Unternehmen benötigen für ihre Arbeits- und Produktionsstätten außerdem eine spezielle Zertifizierung. Die notwendigen Maßnahmen und die Zertifizierung selbst sind mit großem Aufwand und hohen Kosten verbunden. Das lohnt sich nur als langfristige Investition. Wenn so ein Betrieb plötzlich den Standort wechseln muss, führt das im schlimmsten Fall zur Insolvenz.

Wie reagiert die Politik? Gibt es eine Strategie für den Umgang mit den Schattenseiten, die Sie gerade geschildert haben?  

Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, ob die Politikerinnen und Politiker und die Verwaltungsangestellten – also sowohl auf Landes-, als auch auf Bezirksebene – sich dieser Problematik überhaupt bewusst sind. Gentrifizierung ist ja immer eine schleichende Entwicklung und deshalb muss man genau hinhören und hinschauen – sonst bekommt man davon lange nichts mit oder nimmt die einzelnen Ereignisse nicht als zusammenhängend wahr.

„Man sollte Eigentum statt Miete fördern.“

Als Vorstandsmitglied des TPH bin ich hier natürlich stärker involviert als andere. Einige der Unternehmer sind zu mir gekommen. „Herr Eyser, haben Sie es schon gehört? Uns wurde gekündigt!“ Erst kam einer, dann der Zweite, der Dritte, der Vierte. Beim Fünften und Sechsten bin ich hellhörig geworden. Ich hoffe, dass auch die Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung nun reagieren werden.

Wie sollte man denn Ihrer Ansicht nach mit dieser Entwicklung umgehen?  

Ich bin mit meinen Erwartungen und meinen Empfehlungen eher zurückhaltend, denn ich bin kein Politiker und habe nur ein begrenztes Verständnis von politischen Strukturen. Aber: Ich wünsche mir natürlich eine bessere Balance zwischen Flächen für Start-ups und Flächen für produzierende, größere, hier fest verankerte Unternehmen. Der TPH gilt seit Langem als einer der Gewerbestandorte in Berlin, an denen sich Unternehmen entwickeln und wachsen können. Daran sollte man meines Erachtens festhalten. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es geht mir nicht darum, die aktuellen Entwicklungen rückgängig zu machen oder mich da in den Weg zu stellen. Ich bin überzeugt, dass die aktuellen Veränderungen auch neue Chancen bieten und Türen öffnen. Doch dafür müssen wir sie in die richtigen Bahnen lenken.

Wie könnte das aussehen?  

Ich finde, man sollte zum Beispiel Eigentum statt Miete fördern, gerade heute, da die GSG nicht mehr in städtischer Hand ist, sondern rein privatwirtschaftlich organisiert ist und deshalb auch noch stärker gewinnorientiert arbeitet – egal, was das für den Bezirk und die langjährigen Mieter bedeutet. Unternehmer, denen das Land oder die Räumlichkeiten gehören, haben größere Planungssicherheit und sind deshalb auch bereit, langfristig zu investieren. Sie interessieren sich tendenziell mehr für die städtische Umgebung und ihre Nachbarn, was, wie gesagt, gerade hier in einer der ärmeren Ecken Berlins wichtig wäre.

Es ist sehr interessant, dass Sie die Förderung von Eigentum als Reaktion auf steigende Mieten und Verdrängung vorschlagen. Vor einiger Zeit habe ich im Rahmen dieser Gesprächsreihe mit Kristien Ring über Baugruppen gesprochen. Auch sie hat die Bedeutung und die Vorteile von Eigentum – es ging um Wohneigentum – hervorgehoben. Es scheint also verschiedene Parallelen zu geben zwischen Wohnraum und Gewerbeflächen.  

Das kann gut sein. Ein weiterer Punkt – und auch hier lässt sich vielleicht eine Parallele zur Gemeinschaft im Kiez ziehen – ist natürlich die Förderung von Kooperationen zwischen den Unternehmen hier am Standort.

Ist das nicht eine der Kernaufgaben des Vereins, dem Sie vorstehen?  

Richtig. Es gibt auch immer wieder gemeinsame Projekte und Zusammenarbeit; und wir haben ab und an Veranstaltungen und Seminare organisiert. Allerdings könnte man diese Bemühungen noch deutlich ausbauen. Das Problem ist jedoch, dass von den gut 160 Akteuren, die wir zum Technologie-Park Humboldthain zählen, gerade mal jeder zehnte auch Mitglied im Verein ist. Deshalb sind die Mitgliedsbeiträge heute doch sehr überschaubar und wir können im Prinzip niemanden für seine Arbeit bezahlen. Ich glaube viele gute Ideen sind im Sande verlaufen, weil wir die Umsetzung neben dem eigenen Tagesgeschäft organisieren müssten. Die meisten anderen Berliner Zukunftsorte bekommen Geld vom Land Berlin, um Community-Building zu betreiben. Das macht die Sache natürlich einfacher. Hinzu kommt, dass wir für viele Projekte die GSG um Erlaubnis bitten müssen. Ich möchte gar nicht unterstellen, dass sich die GSG irgendwie querstellt, doch es ist ganz klar ein Mehraufwand und man steht ständig als Bittsteller vor der Tür.

Unabhängig von der fehlenden finanziellen Unterstützung für die Vereinstätigkeit würden wir uns als Interessenverband der ansässigen Unternehmen natürlich wünschen, stärker in den politischen Prozess eingebunden zu werden. Heute redet das Land Berlin mit der GSG und die Unternehmen im TPH werden dann informiert, auf welchem Weg auch immer. Wir würden es doch sehr begrüßen, mit am Tisch zu sitzen, wenn über aktuelle Entwicklungen im TPH und deren Auswirkungen gesprochen wird.

Vielen Dank für das spannende Gespräch!  

16/11/2017

16. November 2017

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