ZWISCHEN KONTROLLVERLUST UND KOMPETENZAUFBAU
Wenn Stadtplanung, Innovationskultur und Unternehmergeist an einem Ort zusammentreffen, lässt das auf einen interessanten Dialog hoffen. Zu Recht, denn genau dieses Konzept ist auf dem Fraunhofer-Kongress „Urban Futures“ am 25. und 26. November in Berlin aufgegangen. Zwei Tage lang wurde im Kreuzberger Umspannwerk die Stadt der Zukunft diskutiert, und Expertinnen und Experten stellten realistische Konzepte für intelligente und nachhaltige Stadtplanung vor.
Wir haben uns umgehört und drei Thesen mitgebracht, die Schwerpunkte der aktuellen Debatte um die Zukunftsstadt nachzeichnen.
These 1: Die digitale Stadt braucht kompetente Bürgerinnen und Bürger
90 Prozent der Berliner haben wenig bis keine Ahnung, was sich hinter den Buzzwords Smart City, Big Data oder Industrie 4.0 verbirgt. Das sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller erst im Juni dieses Jahres im Rahmen des IT-Gipfels an der Technischen Universität. Na und?, mag mancher denken, Hauptsache, die Politik weiß, wo die Reise hingeht.
Warum das zu kurz gedacht ist, erklärt Dr. Peter Jakubowski. Er ist Referatsleiter für Digitale Stadt, Risikovorsorge und Verkehr am Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Es ist unter anderem seine Aufgabe, die Chancen und Risiken der Digitalisierung von Städten zu untersuchen. „Ohne einen Kompetenzaufbau bei Bürgerinnen und Bürgern und der öffentlichen Hand wird die Entwicklung Richtung Smart City schiefgehen“, ist Jakubowskis These, und er liefert auch gleich die Begründung hierfür: Rein physisch werden unsere Städte sich gar nicht so sehr verändern, sie bekommen allerdings ein neues Betriebssystem. Und das muss jemand bedienen können.
Das mit dem Betriebssystem hat sich nicht Jakubowski ausgedacht, sondern Carlo Ratti, Leiter des SENSEable City Lab am MIT in Cambridge. Dieser zeichnet in seinen Publikationen ein euphorisches Bild von der vernetzten Stadt, in der Umgebungsintelligenz alten Mauern neues Leben einhaucht und hilft, das Chaos der Megacitys aufzuräumen.
Aus Rattis Prognosen leitet Jakubowski ab, dass hier Geschwindigkeit gefragt ist, um sowohl die Bürgerinnen und Bürger als auch die öffentliche Hand mit den Konzepten aus Technologie und Wirtschaft zusammenzubringen, damit nicht aneinander vorbei geplant wird. Eine „Connected City“ allein ist nicht genug – die Möglichkeiten müssen auch nutzbar sein. Voraussetzung hierfür ist eine Akzeptanz der Entwicklung, die wiederum voraussetzt, dass die Entwicklung mit all ihren Chancen und Risiken auch wirklich verstanden wird. „Wir sind keine Smart Citizens, bloß weil wir mit einem Smartphone in der Tasche herumlaufen“, fasst Jakubowski zusammen.
These 2: Digitale Spaltung führt zu sozialer Spaltung
2012 hat eine Studie des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) ganze 39 Prozent der deutschen Bevölkerung als Digital Outsiders identifiziert. Der Begriff beschreibt Menschen, die nie oder nur sehr selten ins Netz gehen, weil sie sich von den Möglichkeiten überfordert fühlen und Angst haben, etwas falsch zu machen. Hinzu kommen noch 20 Prozent Digital Immigrants, also Menschen, die misstrauisch in Bezug auf Sicherheit und Datenschutz sind. Vermutlich ist diese Zahl in den letzten drei Jahren gesunken. Dennoch bleiben viele Menschen, die die Chancen der Digitalisierung nicht nutzen, auf der Strecke. Was bedeutet das für die Entwicklung smarter Städte?
Für den Stadtplaner Julian Petrin von der Plattform stadtmacher.org ist die Spaltung, die sich daraus ergeben wird, schon jetzt Wirklichkeit. Dann nämlich, wenn Bürgerbeteiligungsprozesse online laufen. Die Digital Outsiders scheitern hier gleich an zwei Punkten: Erstens kriegen sie nichts davon mit, und zweitens fehlen ihnen die technischen Möglichkeiten, um sich zu beteiligen. Für diesen Fall gibt es noch eine relativ einfache Lösung: Petrin kombiniert die digitalen Möglichkeiten mit Offline-Angeboten und bietet Beteiligung auch im öffentlichen Raum an. Denkt man dieses Szenario jedoch weiter, zum Beispiel in Richtung voll digitalisierter Verwaltungsprozesse, wird aus der Ungerechtigkeit schnell eine soziale Ausgrenzung.
Um dieser Spaltung entgegenzuwirken, fordert Werner Spec, Oberbürgermeister der Stadt Ludwigsburg, einen Wettbewerb unter den Kommunen: „Keine Kommune wird es sich leisten können, in puncto Wissensvermittlung auf den hinteren Plätzen zu landen.“
Die Geschwindigkeit, in der sich Prozesse verändern, und die stetig wachsende Komplexität erfordern ein schnelles Handeln, denn die Lücke zwischen Digital Outsiders und Digital Natives wird sich nicht von allein schließen.
These 3: Ohne Kontrollverlust geht es nicht
Die Organisation von Verwaltungsprozessen ist eine komplexe Angelegenheit und Komplexität geht häufig einher mit einer gewissen Langsamkeit. Dem gegenüber stehen Bürgerinnen und Bürger mit Bedürfnissen und Ideen für die Stadt und Unternehmen, die neue technische Lösungen entwickeln. Die Geschwindigkeit, in der so neue Möglichkeiten entstehen, birgt die Gefahr der Verselbstständigung, die öffentliche Hand verliert den Zugriff. Plötzlich gilt die Gesetzmäßigkeit nicht mehr, dass der Staat die Geschwindigkeit bestimmt.
Aber ist das denn schlimm? Positive Beispiele gibt es im Großen wie im Kleinen. Petrin nennt unter anderem das Berliner Projekt Holzmarkt, bei dem sich Clubbetreiber, Bürgerinnen und Bürger zusammengetan haben, um aus einem ursprünglich als Nachtclub genutzten Areal eins der ambitioniertesten Großprojekte in Berlin zu machen, mit Veranstaltungs- und Grünflächen und viel Raum für Wohnen und Kreativität. Zwar nennt Petrin das Projekt scherzhaft eine „Hipster-Favela“, unterstreicht dabei aber auch die neuen Synergieeffekte, die hier zu beobachten sind – Hauptgeldgeber ist immerhin ein Schweizer Pensionsfond.
Auch Yannick Haan, Projektmanager „Hack your City“ bei Wissenschaft im Dialog, hat ein Beispiel: Stuttgarts Feinstaubproblem. Eine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten wollte sich nicht mehr damit zufrieden geben, dass nur eine einzige zentrale Messstation Auskunft über die aktuelle Feinstaubbelastung geben sollte und entwickelte kurzerhand eigene Sensoren, die nun an Paten im gesamten Stadtgebiet verteilt werden und auf einer Karte ein genaues Bild der Feinstaubverteilung geben sollen.
Rob van Gijzel, Bürgermeister der Stadt Eindhoven, geht sogar so weit, ganz bewusst einen Teil der Kontrolle über seine Stadt zu verlieren. Im positiven Sinne, denn er sei bereit, Grenzen zu überschreiten und Risiken einzugeben. Auch Spec begreift das als große Chance: „Wenn wir das Primat der Planung hätten, wären wir viel zu langsam.“
Stephan Reiß-Schmidt, Stadtdirektor der Stadt München, weiß, dass im sozio-kulturellen Bereich schon längst Dinge passieren, von denen Verwaltung nichts weiß und seiner Meinung nach auch nichts wissen muss. Um mit den vielfältigen Welten der Stadtgesellschaft im Dialog zu bleiben, könnte es dennoch sinnvoll sein, Schnittstellen anzubieten. Allein schon um den Anschluss nicht zu verpassen.
Hinweis: Für alle, die sich selbst ein Bild von den Diskussionen auf Urban Future machen wollen, sind alle Talks und Panels im Audio-Stream auf www.urban-futures.de nachzuhören.