Dr. Philipp Bouteiller, Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH, über die Planung von Zukunft, warum Berlin der ideale Ort dafür ist und wie Berlin TXL – The Urban Tech Republic den Nährboden liefert.
Herr Bouteiller, was begeistert Sie an urbanen Technologien und der Idee der Smart City?
Ich war schon immer ein Technikfreak und bin begeisterter Städter. Ich liebe die dichte Nutzungsvielfalt und das Gewusel, weiß aber gleichzeitig auch, wie schwierig es ist, eine Stadt zu organisieren. Kluge Stadtplanung ist eins der großen Themen unserer Zeit und hat mich schon immer fasziniert. Als Student in Berlin an der UdK und später in London an der LSE bin ich neben meinem normalen Programm immer wieder in Vorlesungen der Architekten und Stadtplaner gegangen.
Sie bauen mit Berlin TXL – The Urban Tech Republic einen Standort auf, an dem diese Fragen beantwortet werden sollen. Wie sehen Sie Ihre Aufgabe?
Die große Herausforderung besteht darin, die Zukunft immer mitzudenken. Wie viele kleine Jungs bin ich irgendwann in die Science Fiction Welt eingetaucht und das Genre fasziniert mich immer noch. Jetzt eine Mittlerrolle einzunehmen zwischen dem, was vielleicht in der Zukunft sein wird und dem, was heute machbar und Stand der Technik ist, beschreibt den Spannungsbogen ganz gut. Vorauszudenken und durch gute Planung morgen Dinge zu ermöglichen, die heute denkbar aber noch nicht umsetzbar sind, ist immer wieder eine Herausforderung. Denken Sie nur an die ganzen Richtlinien der Planung, die stets aus den Erfahrungen der Vergangenheit abgeleitet sind.
Eignen sich denn Szenarien aus Science Fiction Filmen und Literatur als Inspirationsquelle für die Stadtplanung?
Es geht nicht darum, sich an konkreten Dingen zu orientieren, sondern um eine Haltung. Wenn man sich die Vorstellungskraft für das Zukünftige bewahrt, dann geht man anders an Planung heran und bewahrt sich Spielräume für jetzt noch unabsehbare Entwicklungen.
Was sind denn die Themen, denen man aktuell besondere Beachtung schenken sollte?
Ganz oben stehen die drei großen Bereiche Mobilität, Digitalisierung und Energie. Ich beschäftige mich seit 2007 mit Elektromobilität und es gab Momente, in denen ich schon fast den Glauben daran verloren hätte. Jetzt ist das Thema im Mainstream angekommen. Der Tesla 3 wurde in der ersten Woche nach seiner Ankündigung 325.000 Mal vorbestellt, mit einer Anzahlung von jeweils 1.000 USD. Das war die erfolgreichste Produktneueinführung in der Geschichte der Menschheit! Natürlich muss Elon Musk jetzt noch liefern, aber das ist doch ein starkes Indiz für den Umbruch zur postfossilen Motorisierung, vor der wir gerade stehen. Also müssen wir viel mehr Ladeinfrastruktur vorsehen, als das normalerweise gemacht wird und die Leitungsplanung entsprechend auslegen.
Damit kommt dann auch die autonome Steuerung. Was bedeutet das denn eigentlich für unsere Städte, wenn sich die Autos alleine wegparken und nicht mehr unseren Verkehrsraum blockieren. Das kommt viel schneller, als Ihnen die Lobbyisten der deutschen Autoindustrie weismachen wollen. In 5 Jahren werden wir die ersten vollautonomen Fahrzeuge in der Stadt haben. Minister Dobrindt bereitet dafür gerade die rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen vor.
Damit einher gehen die Digitalisierung von Infrastrukturen und das Internet der Dinge. Das hört sich immer noch abstrakt an, aber da passiert gerade sehr viel, was in naher Zukunft viele Bereiche unseres Lebens verändert haben wird.
Der dritte große Bereich ist Energie. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Zukunft elektrisch ist. Das ist bedeutend durch die einfache Erkenntnis, dass Strom, der erneuerbar hergestellt wird, ja gar nicht mehr „böse“ ist. Und wenn Strom nicht mehr böse ist, kann man plötzlich ganz tolle Sachen damit machen. Wie zum Beispiel durch die Gegend fahren, aber auch heizen, kühlen, produzieren, mit 3D Druckern, die bereits Titanbauteile im Sinterverfahren herstellen und so weiter. Beim Strommix in den neuen Bundesländern liegen wir im Schnitt schon bei 45 Prozent erneuerbare Energien, in Mecklenburg-Vorpommern an guten Tagen bilanziell sogar schon bei 100 Prozent. Das geht viel rasanter als alle dachten, das ist eine schleichende Revolution, die da gerade passiert. Und an der Energiespeicherung für windarme, graue Tage wird auch mit Nachdruck gearbeitet. Wer sich dafür interessiert, sollte sich übrigens die Rede von Al Gore angucken, die er vor ein paar Wochen auf der TED Konferenz in Vancouver gehalten hat (Anm. d. Red.: Al Gore, The case for optimism on climate change).
Warum ist Berlin der richtige Ort, um diese Themen voranzutreiben?
Das sind zunächst einmal die Flächen, die wir anbieten können. Keine andere Metropole der Welt hat das in dieser Form und in diesem Umfang. Dann sind wir mittlerweile zur Wissenschaftsstadt Nr. 1 in Deutschland geworden. Im letzten Jahr hatten wir 171.000 Studierende, es gibt vier große Universitäten, über 70 außeruniversitäre Forschungs¬einrichtungen, 31 Fachhochschulen. Außerdem sind wir Forschungsmetropole: Keine Stadt hat mehr Fraunhofer- und Helmholtz-Institute als wir. Auch im europaweiten Vergleich sind wir eine echte Agglomeration von Wissenskapital geworden. Gleichzeitig merken wir den Demographie-Effekt. Der begabte Nachwuchs hat keine Lust mehr auf Stuttgart und Co., die wollen in Berlin sein. Jetzt, wo die geburtenschwachen Jahrgänge kommen, folgt das Talent nicht mehr der Industrie, sondern die Industrie muss dem Talent folgen. Davon profitieren wir.
Als wesentlicher Faktor für Berlins Wirtschaftswachstum wird häufig die enorme Innovationskraft genannt. Wie lässt sich das erklären?
Da würde ich gerne Richard Florida (US-amerikanischer Ökonom, Anm. d. Red.) und seine drei Ts zitieren: Technologie, Talent, Toleranz. Auf allen drei Ebenen haben wir eine ganze Menge zu bieten. Das Talent ist schon hier. Die Technologie kommt zunehmend. Wir sind Startup-Metropole geworden, haben inzwischen sogar London überholt. Was hier im Augenblick an Technologie-Talent herumläuft ist sensationell. Und die Toleranz gab es in Berlin schon immer. Wir sind eine sehr liberale und kulturreiche Stadt, und das fördern und zelebrieren wir. Für mich ist Berlin die Hauptstadt der Freiheit und der Toleranz, und das ist wichtig für ein innovatives Klima. Dazu kommt: die Lebenshaltungskosten sind in Berlin noch immer sehr niedrig. Dass sich das jetzt langsam ändert, ist die natürliche Folge des Erfolgs. Aber im internationalen Metropolenvergleich sind wir nach wie vor günstig und werden das auch noch eine Weile bleiben. Es gibt keinen besseren Ort für junge Leute und besonders junge Familien.
Berlin galt lange Zeit als Stadt ohne Industrie, nun ist die Wirtschaft erneut im Kommen. Wird Berlin wieder zur Industriestadt?
Es kommt darauf an, was man unter Industrie versteht. Wir erwarten nicht, dass Unternehmen wieder große konventionelle Produktionskapazitäten in Berlin aufbauen – Siemens und die BMW-Motorradwerke mal ausgenommen. Aber die DAX-Unternehmen kommen jetzt mit ihren Innovationsabteilungen zu uns. Wir haben plötzlich Lufthansa, Cisco, Mercedes und Klöckner hier, das sind tolle Erfolge. Und ich bin der festen Überzeugung, dass diese Innovationskerne in der Fruchtfolge der Ansiedlung größere Bereiche nach sich ziehen werden – sicher auch hochmoderne Produktion der nächsten Generation. Aber bezogen auf das Gesamtvolumen der klassischen Produktion wird es nicht wieder so werden wie vor der Teilung. Und das wollen wir auch gar nicht. Wir wollen die nächste Evolutionsstufe von Industrie haben und dafür schaffen wir gerade die Voraussetzungen.
Und was hat Berlin TXL den Unternehmen zu bieten?
Wenn Unternehmen kommen, weil sie hier die geeigneten Mitarbeiter finden, dann brauchen sie vor allem Platz. In der Urban Tech Republic gibt es jede Menge davon. Wir bieten gezielt Räume, die eine freie Entfaltung ermöglichen. Experimentierfelder wo man Ideen ausprobieren und auch mal rumspielen kann ohne gleich arm zu werden. Den Startups wollen wir außerdem eine maßgeschneiderte Umgebung bieten. In Berlin-Mitte funktionieren die Web-Startups unheimlich gut. Aber für Tech-Startups gibt es in Berlin noch keine natürliche Heimat. Die sind bisher überall verstreut und das möchten wir gerne ändern. Ähnlich wie die Factory es für Web-Startups anbietet, wollen wir ein kuratiertes Umfeld für Tech-Startups schaffen mit Laboren, Hardware-Infrastruktur, also großen 3D-Druckern, Fräsen, Lasern, Messelektronik, Wet-Labs, solchen Dingen. Wir werden Seminare anbieten, Investoren einladen, Events veranstalten. Und dann – und das bietet im Moment tatsächlich keiner an – bringen wir sie mit der großen Industrie und mit den großen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zusammen.
Auf dem Gelände sollen neben Flächen für Industrie und Forschung auch 5.000 Wohnungen geschaffen werden. Soll dieses Wohnquartier smart werden? Eine Art Modellstadt oder Living Lab mit direktem Anschluss an die Urban Tech Republic?
Beim Schumacher Quartier stehen zwei Ansprüche im Vordergrund. Einmal wollen wir das Quartier zu einem energetischen Referenzprojekt machen. Und ja, das, was wir an innovativen Lösungen im Bereich urbaner Technologien erarbeiten, soll natürlich auch im Wohnquartier zur Anwendung kommen. Wir wollen dort auch mit verschiedenen Wohntypologien experimentieren, so dass am Ende eine bunte und aufregende Mischung entsteht. Bestimmte Bereiche werden hoch innovativ sein und an anderen Stellen liegt der Fokus vielleicht eher auf bezahlbarem Wohnraum. Die Herausforderung wird sein, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Aber vor allem wollen wir uns in einem Werkstattverfahren mit Experten zusammen auf die Zukunft vorbereiten: auf neue Formen der Mobilität und der Abläufe in einem modernen, verdichteten Stadtquartier, in dem das Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten Normalität ist. Alle reden derzeit davon, aber das auch planerisch umzusetzen, ist gar nicht so leicht.
Was sind denn die ersten Schritte, um eine Stadt oder einen Teil einer Stadt smart zu machen?
Das sind ganz konkrete Dinge, wie natürlich ein flächendeckendes WLAN, eine kluge Verkehrsplanung, Bevorzugung des Fuß- und Radverkehrs in zentralen Bereichen, mehr grün, mehr Sensorik im öffentlichen Raum. Es gibt in der öffentlichen Infrastruktur übrigens schon jetzt einen allgegenwärtigen Gegenstand, der – wenn man ihn nur neu denkt – hervorragend für all das geeignet ist, nämlich den guten alten Lichtmast. Wenn man den Lichtmast nimmt und diesen zu Ladestation, WLAN-Sender und Sensorik-Punkt z.B. für die Verkehrslenkung und Parkraumsteuerung macht, der Wetter- und Luftdaten sammelt, schick aussieht und am Ende auch noch Licht gibt, dann befinden wir uns schon mittendrin in der smarten Infrastruktur von morgen – ohne den Straßenraum mit großem Aufwand zu verändern. So kann man mit den kleinen Dingen beginnen und schon viel erreichen. Am allerwichtigsten aber ist, dass wir uns Menschen zu jedem Zeitpunkt ins Zentrum unseres planerischen Denkens und Handelns stellen. Deshalb ist die frühzeitige Einbindung der Bevölkerung und Partizipation so wichtig, die Beteiligung der Stadtgesellschaft. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt müssen sich wohlfühlen und begeistern lassen. Sonst haben wir am Ende in Schönheit erstarrten Beton ohne Herz.