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9. Oktober 2024

Was brauchen wir, damit die Mobilität der Zukunft gelingt?

Die Mobilität der Zukunft ist eines der großen Gesellschaftsthemen, an denen am Standort Berlin TXL in der Urban Tech Republic geforscht und gearbeitet wird. Wir diskutieren mit zwei Pionierunternehmen vor Ort und einer Mobilitätsexpertin die großen Fragen: Wie sieht die Mobilität der Zukunft eigentlich aus und was brauchen wir für eine erfolgreiche Mobilitätswende?

Dr. Alexandra König © DLR

Dr. Alexandra König ist Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Verkehrssystemtechnik des Deutschen Zentrums für Luft-und Raumfahrt (DLR) in Braunschweig und forscht dort zu Design und Bewertung von Mobilitätslösungen. König hat in Jena und Dresden Psychologie studiert und einen MBA der Ostfalia Hochschule.

Frau König, Herr Arndt, Herr Schmidt – Sie alle arbeiten praktisch oder wissenschaftlich an der Mobilität der Zukunft. Über die Verkehrswende ist viel gesprochen worden, welche Veränderungen werden aus Ihrer Sicht ganz sicher kommen?

Dr. Alexandra König: Ich bin überzeugt, dass die Mobilität der Zukunft stärker durch die Gesellschaft beeinflusst sein wird, als das in der Vergangenheit der Fall war. In den vergangenen Jahrzehnten war die Art und Weise, wie Städte entwickelt wurden, sehr stark durch den motorisierten Individualverkehr geprägt. Und so ganz ist die Vorstellung, man müsse Städte um die Autos herum bauen, auch noch nicht verschwunden. In unserer Forschung sehen wir aber, dass sich die Menschen vor allem in den Städten wünschen, dass die Bewohnenden die Vorgaben machen – und sich daraus eine sichere und nachhaltige Mobilität für die Verkehrspolitik entwickelt. Nicht andersherum.

Dr. Arwed Schmidt: Ich glaube, es gibt nicht die eine Mobilität der Zukunft. Eigentlich müssten wir über die unterschiedlichen „Mobilitäten“ unterschiedlicher „Zukünfte“ diskutieren. Schon innerhalb Deutschlands sind die Anforderungen zwischen Stadt und Land sehr unterschiedlich. Und jenseits von Europa, in China, Südamerika oder Afrika, wird es nochmal komplett andere Herangehensweisen geben – während wir gleichzeitig in einer globalisierten Welt gemeinsam an Batterien, Komponenten und globalen Wertschöpfungsketten arbeiten. Wir haben eine so hochkomplexe Diskussion, dass wir aufpassen müssen, dass wir sie nicht auf Deutschland beschränken. Wir müssen uns überlegen: Wie können wir am Standort Berlin TXL Produkte entwickeln, die nicht nur in Deutschland oder Europa funktionieren, sondern global?

"Eigentlich müssten wir über die unterschiedlichen ʹMobilitätenʹ unterschiedlicher ʹZukünfteʹ diskutieren."

Dr. Arwed Schmidt
Managing Director Easy Mile Deutschland

Dr. Wulf-Holger Arndt: Wenn wir jenseits von Europa schauen, muss man aber auch sagen, dass es viele Länder gibt, in denen die Motorisierungsrate viel geringer ist als in Deutschland, etwa in China oder im Iran – da liegt sie bei 10 Prozent! Wenn wir hier Alternativen aufbauen, haben die durchaus auch eine Ausstrahlung auf diese Länder.

 

Wenn es um die Mobilität der Zukunft geht, sprechen wir oft über Innovationen – E-Autos, autonome Autos, neue Apps. Ist die Mobilität der Zukunft eine reine Frage der Technik?

Arndt: Wenn ein Problem mit Technik lösbar ist, dann wird es auch mit Technik gelöst, da bin ich mir ganz sicher. Aber das allein wird nicht reichen. Wir haben gerade ein äußerst ressourcenintensives Verkehrssystem in Deutschland. Der Anteil des motorisierten Individualverkehrs stagniert zwar oder sinkt sogar seit 2000 etwas, bleibt aber mit circa 40 Prozent aller Wege auf einem hohen Niveau und die Entfernungen nehmen weiter zu. Der CO2-Ausstoß hat sich im Verkehrssektor seit 1990 nicht verringert! Die Effizienzgewinne bei den Motoren sind durch die Zunahme der durchschnittlichen Motorleistung und des Fahrzeuggewichts komplett aufgefressen worden.

König: Eine weitere Herausforderung ist der Fachkräftemangel. Dem ÖPNV fehlen Bus- und S-Bahn-Fahrerinnen und -Fahrer, und das wird in Zukunft noch stärker der Fall sein. Genau da brauchen wir neue Technologien, wie etwa Leitstellen, die eine Fernsteuerung ermöglichen, sodass nicht jeder Zug mit Lokführenden besetzt werden muss.

Arndt: Was mir Hoffnung macht, ist, dass die jüngeren Altersgruppen in ihrer Mobilität sehr flexibel sind. Die nutzen mal den E-Scooter, mal das Rad, mal den ÖPNV, manchmal auch ein Auto. Aber sie sind nicht mehr so stark an ein Verkehrsmittel gebunden. Sie wollen stattdessen ein durchgehendes Angebot, verlässliche Informationen und idealerweise ein einheitliches, einfaches Ticketing wie das 49-Euro-Ticket.

Dr. Arwed Schmidt ist Managing Director sowie Director Strategic Initiatives des französischen Start-ups EasyMile in Deutschland, das in der Urban Tech Republic seine autonomen Shuttle-Busse entwickelt und testet. Schmidt hat Wirtschaftsingenieurwesen und Maschinenwesen an der TU Berlin studiert.

Dr. Arwed Schmidt © 2024 Easy Mile
Um einmal auf die Ursachen zu sprechen zu kommen: Warum braucht es die Verkehrswende überhaupt?

König: Da gibt es verschiedene Faktoren. Da ist zum einen natürlich der Klimaschutz, weil wir den Ausstoß von klimarelevanten Gasen deutlich reduzieren müssen.

Arndt: 31 Milliarden umweltschädliche Subventionen geben wir in Deutschland jedes Jahr allein im Verkehr aus – und da sind externe Kosten noch gar nicht eingerechnet! Dabei sind 40 Prozent der Autofahrten drei Kilometer oder kürzer. Das ist eigentlich der Wahnsinn.

König: Ein weiteres großes Thema ist gesellschaftliche Teilhabe, auch unter den Bedingungen des demographischen Wandels. Es geht um die Frage, wie Menschen sich in einer alternden Gesellschaft bewegen. Dazu gehört auch die Frage, wie eine diversere Gesellschaft sich in öffentlichen Verkehrsmitteln begegnet. Unsere Studien zeigen, dass Frauen – aber auch Menschen, die sich keinem Geschlecht eindeutig zuordnen – andere Ansprüche an Sicherheit, beispielweise vor Übergriffen in öffentlichen Verkehrsmitteln, stellen.

Arndt: Dazu kommt, dass wir ungefähr seit den 90er-Jahren eine starke Alterung der Straßeninfrastruktur zu verzeichnen haben, wegen der extremen Zunahme der Belastung durch Schwerverkehr und nicht ausreichendem Unterhalt und Ersatzinvestitionen. Anders gesagt: Wir können uns dieses Verkehrssystem gar nicht mehr leisten. Wir haben das untersucht: Bei Brücken und der kommunalen Verkehrsinfrastruktur wird etwa die Hälfte dessen investiert, was eigentlich notwendig wäre, während weiterhin zunehmend Schwerlasttransporte auf die Straße verlagert werden. Das kann so nicht funktionieren.

 

Wenn es um die Mobilität der Zukunft geht, denken viele an autonomes Fahren. Wo, glauben Sie, werden wir die ersten autonomen Fahrzeuge erleben?

Arndt: Ich hoffe mal im ÖPNV. Wir brauchen dringend Angebote, die die erste und letzte Meile überwinden. Dabei ist autonomes Fahren durchaus ein interessanter Ansatz. Gerade auf dem Land kann der ÖPNV in Zukunft sonst gar nicht bedarfsgerecht angeboten werden.

Dr. Wulf-Holger Arndt © Wulf-Holger Arndt

Dr. Wulf-Holger Arndt ist Leiter des Forschungsbereiches „Mobilität und Raum“ an der TU Berlin, sowie Leiter des Projektes „KI-basiertes System für vernetzte Mobilität“ (KIS’M), das in der Urban Tech Republic in Berlin TXL angesiedelt ist. Arndt studierte Verkehrsplanung in Leningrad, Dresden und an der TU Berlin.

Schmidt: Herr Arndt hat Recht: Dem ÖPNV sollte aus seiner Geschichte heraus und theoretisch betrachtet eigentlich eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Mobilität der Zukunft zukommen.

 
Aber?

Schmidt: Das Problem ist: Der ÖPNV ist schon jetzt in jeder Dimension ein nicht ausreichend finanziertes System. Das bedeutet, dass er die Entwicklungsleistung für das autonome Fahren finanziell nicht stemmen kann – und auch nicht die betrieblichen Kosten im Anschluss. Im Moment geht der Blick bei der Entwicklung der Mobilität der Zukunft immer in Richtung Ministerien oder europäische Kommission, das ist aber letztlich eine Rolle als Bittsteller. Das führt wieder zu der großen Frage: Wer finanziert die Zukunft der Mobilität?

 

Haben Sie eine Antwort?

Schmidt: Es gibt schon jetzt Bereiche, in denen autonomes Fahren extrem nachgefragt ist, auch von deutschen Automobilherstellern. Aber das findet eben gerade nicht im Bereich der individuellen Automobilität statt, sondern in Produktionsprozessen, auf Flughäfen, an Seehäfen. Wir brauchen diese anderen Märkte dringend, um die Technologie weiter zu qualifizieren und auszubauen.

König: Wir brauchen Angebote, für die die Menschen bereit sind zu bezahlen – weil sie einen Mehrwert für sich sehen, weil das schnellere oder komfortablere Mobilität ist. Wir haben bei den E-Scootern gesehen, dass bestimmte Nutzendengruppen durchaus bereit sind, dafür zu bezahlen. Ähnlich wird es beim autonomen Fahren sein: Manche werden darauf bedacht sein, schnell anzukommen und wollen sich ein Fahrzeug nicht teilen. Geld spielt dabei eine geringere Rolle, sie wollen zum Beispiel den Weg zur Arbeit als mobiles Homeoffice nutzen. Andere werden bereit sein, einen kleinen Umweg zu fahren und zusätzliche Leute einzusammeln, wenn der Preis dafür niedriger ist.

Schmidt: Dadurch, dass in Zukunft immer mehr Transportlogistik autonom ablaufen wird, werden die Menschen das auch bemerken – wir schauen aus dem Flugzeug und sehen, wie viel schlanker, sauberer, strukturierter und autonomer die Prozesse werden. Das wird dazu führen, dass das Vertrauen in die Technologie, aber auch in den Standort steigt. Und dann werden aus den Use Cases Business Cases, weil dadurch die Bereitschaft steigt, tatsächlich dafür zu bezahlen.

 

Welche Rolle spielt der Standort Berlin TXL aus Ihrer Sicht bei der Entwicklung der Mobilität der Zukunft?

König: Die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland hängt mitunter am Verkehr – und dafür müssen wir innovative Mobilitätskonzepte schaffen. Neue Verkehrstechnologien, aber im Einklang mit dem Mobilitätsbedarf in der Gesellschaft. Dafür braucht es einen partizipativen Ansatz, wie er in Berlin TXL erprobt wird.

Schmidt: Berlin TXL ist so groß und eröffnet den Raum zum Denken. Wir brauchen diese Zukunftsbilder. Wir haben mit EasyMile zwei große Hallen in Berlin TXL, aus denen die Fahrzeuge autonom in die jeweiligen Deployments rausgehen können. Wenn ich aus diesen Hallen trete, sehe ich erst einmal eine riesige Fläche der Möglichkeiten. Und genau das ist Berlin TXL für mich!

Arndt: Die Urban Tech Republic ist für uns ein sehr interessanter Ort, weil wir dort unsere Fahrzeugtests absolvieren können. Der alte Flughafen ist ein Betriebsgelände, da ist der Genehmigungsprozess für autonome Fahrzeuge deutlich einfacher. Und es ist ein großer Vorteil, dass schon eine ganze Reihe von Unternehmen mit ähnlichem Schwerpunkt ansässig sind.

 

Profitieren Sie davon schon konkret?

Arndt: Wir haben jetzt schon Entfaltungsmöglichkeiten in Berlin TXL, die wir anderswo so nicht hätten. Für die Zukunft erhoffen wir uns, dass sich durch die räumliche Nähe zu anderen Akteuren aus unserem Bereich interessante Kooperationsmöglichkeiten ergeben. Wir haben schon interessante Start-ups kennengelernt, deren Erkenntnisse für eines unserer Projekte interessant waren. Auch Herr Schmidt und ich haben uns hier kennengelernt.

König: Dafür ist ein Projekt wie Berlin TXL wunderbar: Man kann sozusagen auf dem weißen Papier anfangen und etwas ausprobieren.

"Wir haben Entfaltungsmöglichkeiten in Berlin TXL, die wir anderswo so nicht hätten."

Dr. Wulf-Holger Arndt
Leiter Forschungsbereich „Mobilität und Raum“ der TU Berlin und von  KIS’M

Wenn aber klar ist, was die Verkehrswende bringen soll, warum geht das dann nicht schneller?

König: Wir sind uns sicher alle einig, dass wir eine Mobilitätstransformation benötigen und dass diese unterstützt werden muss. Die Frage ist: Wie kann man diese Transformation beschleunigen, wie kann man die gesellschaftliche Akzeptanz und Bereitschaft für diese Transformation sicherstellen?

 

Haben Sie eine Antwort?

König: Wir gehen davon aus, dass das partizipativ geschehen muss. Wie das gehen könnte, das wird man am Beispiel der Urban Tech Republic beobachten können. Wir haben natürlich alle unterschiedliche Wünsche. Nicht für jeden Menschen sind alle Innovationen wirklich wünschenswert. Das auszuhandeln, sich mit allen Stakeholderinnen und Stakeholdern an einen Tisch zu setzen und daraus ein gemeinsames Ziel zu entwickeln, wird ein entscheidender Schritt sein. So können wir gemeinsam diese Transformation beschleunigen. Das ist die wichtige Herausforderung, vor der wir stehen.

 

Was bräuchte es, damit Mobilität der Zukunft gelingt?

Arndt: Was uns vorschwebt, ist eine Vernetzung auf Grundlage der persönlichen Mobilitätspräferenzen: Leute, die eher alleine im Abteil sitzen wollen oder gerade nicht, Menschen, die mit dem Fahrrad die beleuchteten Wege, die kürzesten Wege, die grünen Wege haben wollen. Denn die große Konkurrenz ist immer noch der persönliche PKW, der vor der Tür steht, immer erreichbar ist und einen immer von A nach B bringt. Die Frage ist: Wie kann man diese Funktionalität mit anderen Mitteln erreichen oder andere Vorteile bei den alternativen Verkehrsmitteln schaffen? Diese Leichtigkeit in der multimodalen Mobilität, das muss das Ziel sein.

König: Dazu müssen wir niedrigschwellige Angebote schaffen, um die Alternativen zum Auto aufzuzeigen. Bei den E-Scootern hat das schon gut funktioniert, jetzt brauchen wir noch neue Fahrzeugmodelle, zum Beispiel elektrische Kleinstfahrzeuge oder Lastenräder, die man einfach mal ausprobieren kann. Ich bin mir sicher, dass die Menschen dann merken: Hey, ich bin ja ziemlich schnell damit und muss nicht einmal einen Parkplatz suchen.

Schmidt: Mobilitätsangebote sind Antworten auf die Bedürfnisse der Menschen. Es werden keine kurzfristigen Lösungen oder Technologieutopien benötigt, sondern es müssen langfristig gedachte und ökologisch und ökonomisch sinnvolle Verkehrssysteme mit hoher Tragfähigkeit konstruiert werden. Elektrische Antriebe und das autonome Fahren stellen dazu elementare Puzzlebausteine dar, welche für die jeweiligen Anwendungsfälle zugeschnitten werden müssen, aber im Alltag nur akzeptiert werden, wenn sie sich eng an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen orientieren und sofortigen Mehrwert liefern.

Arndt: Im Grunde bräuchten wir einen Wandel der Siedlungsstruktur: Hin zu kurzen Wegen, zur Mischnutzung statt Desintegration, sodass Arbeit und Wohnen wieder ortsnaher passieren können. Und für den ÖPNV auf der sogenannten „letzten Meile“ ist natürlich auch autonomes Fahren ein Thema.

nig: Wenn wir es schaffen, Daten zu vernetzen, bereitzustellen und sie so zu schützen, dass sie auch wirklich nutzbar sind und nicht in Datensilos verbleiben, wäre das ein wichtiger Schritt. Bisher ist das sehr dezentral organisiert, manche Daten haben Wirtschaftsunternehmen, andere liegen bei Behörden. Für die Mobilität der Zukunft liegt eine große Chance darin, diese Daten zu vernetzen.

Arndt: Ich bin eigentlich optimistisch. Das 49-Euro-Ticket war zum Beispiel ein kolossaler Schritt. Und in Berlin ist der sogenannte „Modal Split“, also die Verteilung zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln, gar nicht so schlecht. Zumindest hat das Auto nicht mehr die Majorität. Und das ist auch keine Berliner Nabelschau, das ist eine Entwicklung, die wir in vielen westlichen Großstädten sehen. Ich bin mir sicher, die Verkehrswende wird kommen – ob das jetzt geruhsam und geordnet passiert oder disruptiv, das ist eine andere Frage.

 

Wir bedanken uns bei allen Expertinnen und Experten für ihre Zeit, den spannenden Austausch und den Einblick in das komplexe Themenfeld der Mobilitätswende!

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